Intoxikation mit dem Herbizid Simplex®
Intoxikation mit dem Herbizid Simplex®
Was ist Herbizid Simplex® ?
Simplex® ist ein Herbizid, welches zurzeit hauptsächlich zur Bekämpfung von Jakobskreuzkraut und Brennnesseln auf Weiden eingesetzt wird. Das Produkt beinhaltet die Wirkstoffe Aminopyralid und Fluroxypyr, zwei Substanzen die eine Inaktivität des pflanzlichen Wachstumshormons Auxin bewirken und so zum Absterben der Pflanze führen. Wird das Produkt gemäß den Herstellerangaben auf einer Pferdeweide verwendet, sollte die Fläche für 7 Tage nicht beweidet werden. Bisher sind nach Wissen der Autoren keine Intoxikationsfälle beim Pferd mit Simplex® nach unsachgemäßer Verwendung publiziert. Auch gibt es annähernd keine toxikologischen Daten der beinhalteten Substanzen für das Pferd.
Vorbericht
Ein 21-jähriger Araber-Berber Wallach, eine 17-jährige Kleinpferdstute und ein 11-jähriger Kleinpferdwallach wurden nach Verfütterung einer Schubkarre mit frisch Herbizid-kontaminierten Brennnesseln vorstellig. Vorberichtlich wurden die Brennnesseln zwei Stunden vor Verfütterung mit einer Simplex®-Lösung behandelt. Eine genaue Angabe der Expositionsmenge der Einzeltiere war nicht möglich.
Klinische Untersuchung
Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung zeigten die Pferde ein gering- bis mittelgradig gestörtes Allgemeinbefinden einhergehend mit einer Depression, geröteten Schleimhäuten, einer verlängerten kapillaren Wiederfüllungszeit (3-4 sec.), einer moderaten Tachykardie (60-72 Schläge/min), sowie einer intestinalen Hypomotilität. Weiterhin zeigte der Araber-Berber Wallach eine milde Ataxie (gestörte Koordination der Bewegungen), eine kardiale Arrhythmie (gestörter Herzrhythmus) und labordiagnostisch eine milde Azotämie (Ansammlung von Stickstoffabfallprodukten im Blut). Bei allen Pferden wurde eine geringgradige bis deutliche bilaterale Rötung der Bindehaut, Epiphora (Triefauge) und eine gering- bis mittelgradige Chemosis (Schwellung der Bindehaut) ohne Hinweise auf korneale Beteiligung festgestellt. Zwei der Pferde zeigten labordiagnostisch zusätzlich eine milde Hyperlaktatämie (erhöhte Laktatkonzentration).
Therapie
Initial wurde bei allen Pferden eine Magenspülung durchgeführt. Aufgrund des Risikos einer bereits erfolgten gastrointestinalen Schleimhautirritation erhielten die Pferde ein Arnzneistoff zum Schutz der Magenschleimhaut über insgesamt drei Tage. Weiterhin erhielten die Tiere eine Lösung zur Unterstützung der Diurese, demnach der Nierentätigkeit. Aufgrund der beobachteten Augenirritation infolge einer wahrscheinlich erfolgten Exposition der Augen durch direkten bzw. indirekten Kontakt mit den Substanzen wurde initial eine Augenspülung durchgeführt, sowie einmalig Augentropfen eingegeben. Bis zum Abklingen der Symptomatik erhielten die Pferde eine lokale Medikation mit einer Augensalbe. Nach insgesamt sechs Tagen waren alle drei Tiere im Rahmen der ophthalmologischen Untersuchung unauffällig, so dass die Augensalbe abgesetzt werden konnte.
Im Verlauf eines Tages entwickelten zwei Pferde eine milde Ulzerationen (Geschwür) im Bereich der Maulschleimhäute und der Araber-Berber-Wallach zusätzlich eine Hautirritation im Bereich der Maulspalte (Abb. 4). Bei allen Tieren wurde labordiagnostisch eine geringgradige Senkung des ionisierten Calciums festgestellt.
Nach fünf Tagen wurden Pferd 1 und 3, und nach sechs Tagen Pferd 2 aus der Klinik entlassen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Tiere klinisch und labordiagnostisch unauffällig. Nach abschließender Rücksprache mit den Besitzern drei Monate später zeigten die Pferde ein unauffälliges Allgemeinbefinden und wurden alle ihrem ursprünglichen Leistungsniveau entsprechend gearbeitet.
Diskussion
Unseres Wissens ist dies der erste Fallbericht, der eine Intoxikation mit dem Herbizid Simplex® beim Pferd beschreibt. Im Gegensatz zu diversen Daten aus Zulassungsstudien an Labortieren existieren bisher nur wenige Daten über die Wirkung von Aminopyralid und Fluroxypyr beim Pferd. Das im Rahmen der hier beschriebenen Intoxikationsfälle beobachtete Symptombild weist jedoch eine große Ähnlichkeit zu den Symptomen bei Labortieren auf. So wurde bei verschiedenen Spezies eine Ataxie (gestörte Koordination der Bewegungen) (The Norwegian Food Safety Authority, 2010; United States Environmental Protection Agency, 1998), Haut- und Augenirritationen, sowie gastrointestinale Symptome (z.B. Diarrhöe, Magenkrämpfe, Muskelschmerz) (United States Environmental Protection Agency, 1998) beobachtet, jedoch mit tierartspezifischer Ausprägung.
Der genaue toxikologische Wirkungsmechanismus von Aminopyralid und Fluroxypyr ist bisher unbekannt, jedoch sind die meisten ausgelösten Symptome vermutlich auf die primäre Säurewirkung der Substanzen zurückzuführen. Nicht vollständig auszuschließen ist jedoch auch eine zusätzliche lokale und systemische Wirkung (den ganzen Organismus betreffend) bedingt durch dissoziierte Fluoridionen vom Fluroxypyr. Hierbei ist aber zu bedenken, dass es sich bei Fluroxypyr um eine Substanz mit einer niedrigen Wasserlöslichkeit handelt, was gegen eine massive Freisetzung von Fluoridionen spricht. Andererseits ist laut Whitford et al. (2011) für den Schädigungsgrad der Magenschleimhaut nach Aufnahme nicht die absolute Menge von Fluoridionen entscheidend, sondern lediglich die Konzentration der Lösung die Kontakt zur Magenschleimhaut hat.
Da in den vorliegenden Fällen eine Dissoziation der Fluoridionen als möglich angesehen wurde, basierten die durchgeführten Therapiemaßnahmen hauptsächlich darauf, eine lokale Schädigung, sowie eine mögliche Resorption der Fluoridionen zu verhindern. Fluoridionen besitzen eine starke Affinität zu Calcium, was zu einem Ausfällen von schwerlöslichen Salzen führt. In der Folge kommt es zur Neutralisation der Fluoridionen, jedoch sind ebenfalls gravierende Elektrolytstörungen durch eine Hypocalcämie (Mangel an Calcium) möglich.
In der Humanmedizin ist die akute Intoxikation nach Aufnahme von Fluoriden vielfach beschrieben. Insbesondere bei Kindern führt die exzessive Aufnahme von fluroridhaltigen Zahnpflegeprodukten zu schwerwiegenden gastrointestinalen Symptomen. Basierend auf den bereits beschriebenen Elektrolytverschiebungen, bedingt durch die Affinität der Fluoridionen für Calcium, werden regelmäßig kardiovaskuläre (das Herz und Gefäßsystem betreffend) und muskuläre Symptome beobachtet (Whitford, 2011). Bezogen auf die drei betroffenen Pferde, die innerhalb von 24 Stunden trotz Substitution (Ersetzen) von Calciumgluconat eine geringgradige Senkung des ionisierten Calciumwertes entwickelten, ist somit ursächlich eine systemische Wirkung (den ganzen Organismus betreffend) der Fluoridionen in Erwägung zu ziehen.
Beim Pferd wurde bisher sowohl die akute, als auch die chronische Fluorose (zu hohe Fluoridzufuhr) beschrieben (Damman et al., 1904; Shupe et al., 1971). Chronisch betroffene Tiere zeigten ein stumpfes Haarkleid, Lahmheit, ein steifes Gangbild, Knochenzubildungen im Bereich der Schädelknochen und eine exzessive Abrasion (Schwinden der Zahnhartsubstand) der Zähne. Im Gegensatz zum Rind jedoch beschrieben die Autoren die Spezies Pferd als relativ tolerant. Im Rahmen dieser Veröffentlichung geben die Autoren einen Toleranzwert von 60 mg für Natriumfluorid und Fluoride mit ähnlicher Toxizität an (Shupe et al., 1971). Ein älterer Einzelfallbericht beschreibt zudem eine akute Fluorose eines Pferdes nach Aufnahme von 100 mg Natriumfluorid (Damman et al., 1904). Abschließend bleibt jedoch im vorliegenden Fall die Menge von dissoziierten Fluoridionen unbekannt. Da jedoch eine Wirkung, die gravierende Folgen haben kann, nicht vollständig auszuschließen ist, ist der Einsatz eines Säureregulators unerlässlich.